Immer mehr Kreuze am Fahrbahnrand

Sie markieren die Orte, an denen der Verunglückte das letzte Mal gedacht hat, gefühlt hat, vielleicht noch Schmerzen hatte: die Unfallkreuze am Straßenrand. Und obwohl die Zahl der tödlich Verunglückten zurückgeht, nimmt die Zahl der Unfallkreuze zu. "In den Kreuzen deutet sich ein neuer Trauerritus an, eine neue Form des Abschiednehmens", sagt Christine Aka.

Hamburger Abendblatt, 16. November 2004

Die Volkskundlerin von der Universität Münster beschäftigt sich seit vier Jahren mit dem Phänomen der "Kreuze am Fahrbahnrand". An 250 Unfallorten hat sie sich mit Angehörigen unterhalten und analysiert, warum immer mehr Hinterbliebene Kreuze an die Straße stellen.

Das Ergebnis ihrer Studien: Die Unfallkreuze haben nichts mit dem Christentum zu tun. Anders als bei den katholischen Wegekreuzen in den 70er-Jahren geht es hier nicht darum für die Aufnahme des Verunglückten in den Himmel zu beten. "Das christliche Symbol wird nur als Zeichen des Todes übernommen", sagt die Ethnologin.

Vielmehr geht es darum, einen Ort der Trauer zu schaffen.

"In den Kreuzen drückt sich das Bedürfnis aus, den plötzlichen Tod eines Nahestehenden mit Handlungen zu verarbeiten." Es seien vor allem Freunde von jungen Opfern, die zum Trauern lieber an das Unfallkreuz als auf den Friedhof gingen. "Hier können sie ihren Gefühlen freien Lauf lassen, diskutieren, rauchen, Musik hören. Ohne zu stören."

Oft erinnern ganz persönliche Dinge an die Opfer: Kuscheltiere, Briefe, Armbänder. "Es sind Dinge, die zum Toten gehören", sagt Christine Aka, die ihre Studien im kommenden Jahr veröffentlichen will. Die Behörden respektieren die Kreuze, solange sie nicht den Verkehr behindern. Denn sie sind auch Warnung für jeden, der daran vorbeifährt.

Quelle: http://www.abendblatt.de/daten/2004/11/16/364673.html