Wie weit durfte Gardner gehen??

Pietzler @, München, Donnerstag, 24.11.2005, 14:25 (vor 6720 Tagen)

servus
erstmal recht herzlichen dank für die plattform.
find euer ethno-forum wirklich wunderbar und wollt nun einfach auch mal versuchen ne kleine diskussion anzustoßen, die mich selbst bisschen beschäftigt und von der ich glaube, dass sie vielleicht auch andere interessiert. ich werd auch meine damen und herren mitstudenten auf diese seite aufmerksam machen, damit sie sich mal bisschen beteiligen. ich bin mir sicher, dass es nicht zu wenig leute geben würde, die sich für diese themen interessieren und an den diskussionen beteiligen würden. vielleicht muss das ganze noch ein bisschen anlaufen, bis die leute aufmerksam werden und sich auch trauen.
also, ich studiere in münchen das dritte semester ethno, was natürlich den nachteil mit sich bringt, dass ich noch nicht sehr viel ahnung von der ethnologie hab, aber ja doch auch irgendwie ein vorteil ist, weil mein hirn dadurch noch nicht "im fach" ist. vergebt mir also bitte, wenn ich „ethno-sünden“ begehe, oder einige sachen „falsch“ interpretiere. ich versuchs einfach mal:
letzte woche waren im münchner völkerkundemuseum "die tage des ethnologischen films". dort wurde am sonntag der film "dead birds" von robert gardner gezeigt, der 1961 erschienen ist und als ein absoluter klassiker des genres gilt. wir studenten hatten alle relativ wenig vorkenntnisse zu dem film, einige kannten „forest of bliss“ und wussten, dass gardner, soweit ich weiß, nie für sich beansprucht hatte, ethnologische filme zu machen, sondern mit absicht die grenze zwischen kunst und wissenschaft aufhob, um unteranderem die welt zu zeigen, wie sie in der realität hätte sein können.
„dead birds“ selbst war sehr beeindruckend. man sah das volk der dani, die im hochland von papua-neuguinea, in einem „idyllisch-unberührten“ tal leb(t>)en und gardner führte den zuschauer anhand der alltäglichen aufgaben zweier protagonisten durch den film. eines der hauptthemen war das verhältnis der dani zum krieg, den sie mit ihren nachbarn führten. man sah, in breiter perspektive, wie sich massenweise krieger gegenüber standen, sich provozierten, um sich dann vereinzelt mit sperren und pfeilen zu beschießen.
ich will eigentlich gar nicht so genau auf den film ein gehen, sondern die reaktionen nach dem film beschreiben. eigentlich waren wir uns alle sich:
der film ist inszeniert.
es gab mehrere einstellungen, die einfach kein zufall sein konnten, beispielsweise wenn ein junge in großaufnahme, alleine am lagerfeuer sitzt, in dieses hineinstarrt und eine geschichte erzählt. gleichzeitig war es uns bisschen schleierhaft, wieso dann die krieger teilweise wirklich pfeile im hintern stecken hatten und wieso eigentlich niemand der gefilmten verstohlen in die kamera blickte. wir taten das damit ab, dass er zum einen wohl fiktives mit wirklich passiertem gemischt hatte und zum anderen gewisse szenen einfach rausließ. außerdem fanden es einige von uns etwas komisch, dass der sprecher die gedanken der dani „übersetzte“.
nicht wirklich begeistert vom gesehenen gingen wir nach hause.
daheim erinnerte ich mich daran, dass am abend vorher reinhard kapfer noch zu mir gesagt hatte: „warum lest ihr unsere bücher nicht> für euch haben wir sie doch geschrieben“. schuldbewusst zog ich „rituale von leben und tod. gardner und seine filme“ ausm regal.
und jetzt kommen wir endlich zu dem punkt, an dem ich gerne wissen würde was ihr darüber denkt. weil ich in dem buch so einiges, für mich sehr überraschendes gefunden habe.
gardner hat den dani erzählt seine kamera sei für ihn ein mittel besser sehen zu können. sie wussten also nicht dass ein film über sie gedreht wurde, geschweige denn was ein film ist. ihr tal war schon lange „bekannt“, aber nur sehr wenige aus der „zivilierten“ welt hatten es betreten. gardner wollte sie „unberührt“ lassen. er wollte, dieses volk in seiner welt möglichst wenig „stören und aus dem gleichgewicht“ bringen. (die gänsefüsschen sind alles keine zitate, sondern meine absicherung, nicht gleich eine auf die mütze zu bekommen)

nun eine meiner fragen: ist es ok, fremde derart zu bevormunden, dass es gerechtfertigt wäre ihnen etwas vor zu machen und sie, wie es mir mal rausgerutscht ist, „dumm“ zu lassen> nicht, dass sie vorher dumm waren, sondern dass sie von neuem eine falsche annahme hatten, weil es ihnen mit absicht falsch erklärt wurde.
eine ähnliche, nur umgekehrte diskussion findet sich doch auch aktuell bezüglich der aneignung wieder, oder> inwieweit darf ich beispielsweise die laoten davor warnen (bevormunden), dass coca cola gefährlich ist, weil es unteranderem die zähne ihrer kinder zerstört und WIR diese erfahrung schon gemacht haben, es also besser wissen, aber WIR auch die nötige zahnarzt-infrastruktur haben um darauf „angemessen“ zu reagieren.
dies ist aber ein völlig anderes thema, aber vielleicht hat ja jemand lust, eine neue diskussion im forum zu starten.
zurück zu gardner. leider finde ich im buch die genaue stelle nicht mehr, sehr peinlich, werds aber sofort korrigieren, (oder von euch korrigiert werden) wenn ich sie auftreib:
nach „the hunters“, in dem er und john marshall, eine gesellschaft von jägern und sammlern vorgestellt hatten, wollte gardner nun eine gesellschaft darstellen, die sesshaft war und ackerbau betrieb. er hat lang nach einem volk gesucht, das seinen vorstellungen entsprach. soweit ich mich erinnere, wollte er eine reihe produzieren, die die verschiedenen „ur-gesellschafts-strukturen“ abhandelt, in der reihenfolge, wie sie sich nacheinander entwickelt hatten.
was ich soweit in meinem studium mitbekommen habe, ist das doch eine mega-ethno-sünde, oder> wie kommt er denn drauf, die dani in eine sparte unserer entwicklungsgeschichte zu pferchen> ihre entwicklung ist doch offensichtlich nicht mit unserer zu vergleichen. im ersten moment habe ich an die alten evolutionisten denken müssen, die ja andere gesellschaften teilweise als vorformen der unseren betrachteten. auch wenn es mir fern liegt gardner als evolutionisten zu brandmarken, weil er dies sicherlich nicht war.
ich hab jetz lang überlegt ob ich das drin lass, weil ich die textstelle ja nicht find und gardner nichts komplett falsches unterstellen will. aber dazu ist ein forum ja da, dass mich gegebenenfalls eine sehr wütende reaktion trifft.
um die diskussion noch bisschen anzuheizen würd ich gern paar zeilen aus johannes rühl beitrag im buch zitieren:
„gardner beschreibt seine persönliche sicht der dinge und unterscheidet sich damit von den meisten seiner kollegen, die filme mit ethnologischen inhalten machen. er gibt dies offen zu und macht sich dadurch leicht angreifbar. auch heute noch weiß er während der dreharbeiten oft nicht, was aus den bildern werden soll. erst später sucht er nach dem film, der in dem gedrehten material liegt, sucht er nach der story, die sich daraus ergibt. so ist krieg im film ein konstrukt; er steht für viele kriege, die so nicht stattgefunden haben, aber hätten stattfinden können,...(rituale von leben und tod auf seite 99)
es ist sicherlich nicht zu bestreiten, dass sein film sehr schön darstellt, wie die dani leben, aber leben sie wirklich so>
so versteh ich gardners prinzip: wenn wir die realität nicht so nachstellen, wie sie ist, dann können wir sie wahrscheinlich niemals dokumentieren.
wissenschaft ist das sicher nicht mehr, vielleicht gerade noch ein modell. inwieweit sollten dann seine filme auf die ethnos wirken>
wenn ich mich daran erinnere, wie wir damals aus der vorführung gekommen sind, völlig blauäugig und gutgläubig, dann frage ich mich, wie es anderen menschen dabei geht, wenn sie mit diesen bildern alleine gelassen werden, ohne jegliche hintergrundinfo. da der film damals in den amerikanischen kinos auch ein riesiger kommerzieller erfolg war, würde mich interessieren, wie er damals präsentiert wurde und ob er nicht vielleicht sogar dazu beigetragen hat, gewisse stereotypen weiter zu vermitteln und zu verfestigen. weiß da jemand was drüber>

ich hoffe, dass sich paar leute an der diskussion beteiligen wollen, auch wenn dieser beitrag natürlich etwas diletantisch und „unwissenschaftlich“ geworden ist.
falls dies sogar ein „experte“ lesen sollte, so is mir klar, dass die diskussion wahrscheinlich ein alter hut ist und der watschnbaum fallen wird, weil ich sicherlich nicht alles zu gardner weiß und berücksichtigt hab, was an diese stelle gehört, aber das sind nunmal die fragen die sich mir stellen.
nun hoff ich auf reaktionen, wünsch noch nen schönen tag.
nochmals ein danke und nen gruß nach oslo. ihr/du leistest echt ne hammer arbeit!!!
bis dann
peter

wer sich für das buch interessiert:
kapfer r., petermann w., thoms r. (hrsg.) 1989: rituale von leben und tod. robert gardner und seine filme. trickster verlag, münchen
isbn: 3-923804-30-x


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