antisemitismus und ethnologie: jeder stoß ein franzos?

Henry Maine @, Samstag, 01.09.2007, 00:13 (vor 6081 Tagen) @ nichtidentisches

» @"Die jüdischen Opfer waren antisemitisch>"
»
» Leider gibt es auch das und keinem namhaften Antisemitismusforscher stellt
» das ein Rätsel dar.

Welcher namhafte Antisemitismusforscher behauptet denn, dass Lévi-Strauss-Antisemit war>

» Meine Kritik an Levi-Strauss macht sich daran fest,
» dass er den 2. Weltkrieg auf Überbevölkerung zurückführt und ihm die
» Vernichtunslager allenfalls der Erwähnung wert sind, als sie diese These
» bestätigen und Zivilisation generell zum Verfall erklären.

Hast du eigentlich die deutsche oder die französische Ausgabe gelesen>
Poste doch mal das Zitat zur Überbevölkerung.
Meinst du mit der Erwähnung der Vernichtungslager das hier>

"Vor dem Hunger ist keine Gesellschaft moralisch geschützt, denn die Not kann die Menschen dazu treiben, schlechthin alles zu essen, was ihnen unter die Finger kommt, wie dies die Vernichtungslager der jüngsten Vergangenheit zu Genüge bewiesen haben."
Traurige Tropen, S. 355

Was Lévi-Strauss mit Oswald Spengler zu tun haben soll, ist mir schleierhaft.
Allgemein bin ich der tat der Ansicht, dass sich die Ethnologie mit Antisemitismus und NS-Geschichte auseinandersetzen sollte, was sie eigentlich erst ab den achtziger Jahren getan hat (im Gegensatz zu anderen Disziplinen).
Beim Buch "Traurige Tropen" ist aber nunmal so, dass es die "Eingeborenen" Südamerikas zum Gegenstand hat. Der Vorwurf, dass dort der Nationalsozialismus nicht genügend behandelt wird, ist also nicht ganz nachvollziehbar. Du könntest auch Malinowkis "Die Argonauten des westlichen Pazifik" vorwerfen, nicht auf Antisemitismus einzugehen. Das wäre aber absurd.

Auch wenn Lévi-Strauss in einem Zitat Auschwitz verharmlost hätte, dann würde das per se noch nichts über den Wahrheitsgehalt der strukturalistischen Theorie aussagen.

Du meinst, man solle die nazistischen und/oder antisemitischen Völkerkundler wie Hermann Baumann oder Pater Wilhelm Schmidt nicht kritisieren, sondern sich erstmal Funktionalismus und Strukturalismus vornehmen.
Warum diese Theorien notwendig Antisemitismus und "völkisches Denken" beinhalten sollen, bleibt total im Dunkeln. Ist "Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft" ein zweites "Mein Kampf">
Gerade bei Émile Durkheim, Marcel Mauss und Claude Lévi-Strauss, die sich z.T. auch aktiv gegen Antisemitismus und Rassismus engagiert haben, erscheint das etwas aberwitzig.

Nur am Rande:
Die Ethnologie hat vielleicht auch etwas zur Holocaustforschung beigetragen.
Daniel Goldhagen benutzt in "Hitler's Willing Executioners" Clifford Gertzens Methode der "Dichten Beschreibung".

» Eine
» Rationalisierung par excellence.

Ist der 2. Weltkrieg unerklärbar> Wenn ja, dann kann es gar keine Forschung dazu geben.

» Zivilisation verfällt halt so und deshalb
» gabs den Weltkrieg.

Das ist in der Tat eine falsch Erklärung, ist das aber nicht genau dasselbe wie der "Rückfall in die Barbarei" von dem du sprichst.

» Da schlägt dann doch die Verwandtschaft der
» französischen Philosophie zu Heidegger durch. (Siehe dazu Rockmoore, Tom:
» Heidegger und die französische Philosophie)

Die Existenzphilosophie von Sartre und einige Postmoderne beziehen sich auf Heidegger. Ich glaube aber nicht, dass in diesem Buch (das ich nicht kenne) Lévi-Strauss vorkommt. Der hat mit beiden Strömungen nichts zu tun.

Ich bin im Übrigen überhaupt kein Anhänger von Lévi-Strauss oder dem Strukturalismus, die ich beide wirklich für zum Großteil überholt finde, du machst ihnen nur lauter Vorwürfe, die nicht im geringsten zutreffen.

» Meines Erachtens ist die britische und US-amerikanische Literatur
» wesentlich fitter und reflektierter im Umgang mit dem Antisemitismus, man
» wollte dort verstehen und nicht vergessen. In Marwicks (Hg.) Standardwerk
» zur Hexenforschung: Witchcraft & Sorcery und Parrinders "Witchcraft:
» European and African" wird Verfolgung zumindest zum Problem erhoben und
» ein Bewusstsein vom Antisemitismus spiegelt sich auch in anderen,
» Ortsfremden Vergleichen wieder. Man hat dort den Mut zur kritischen
» Gesellschaftswissenschaft.

Das liegt aber am Thema des Buches, weil es ja wirklich eine Verbindung zwischen der europäischen Hexenverfolgung und Antijudaismus gibt (Juden wie Hexen haben Hakennasen, stehen mit dem Teufel im Bund, begehen Kindsmord usw.). Am Wort "Hexensabbat" erkennt man noch den Zusammenhang.
Du kannst aber nicht fordern, dass jede ethnologische Veröffentlichung Antisemitismus zum Thema haben soll, weil nicht die ganze Welt aus Antisemitismustheorien heraus erklärt werden kann.

Ich lese zwar meistens auch lieber ethnologische Bücher aus dem englischsprachigen Raum, aber die Einteilung in dumme französische und deutsche Ethnologie im Gegensatz zur klugen us-amerikanischen und britischen finde ich dann doch etwas zu simpel.
Es ist doch besser jeden Autor für sich zu bewerten.
Aus den USA kommen sehr anregende Ansätze (z.B. Postcolonial Studies), leider ist dort aber auch die Soziobiologie unheimlich beliebt.

» Meines Erachten könnte auch empirische Feldforschung am autoritären
» Charakter lernen oder ein kritisches Verhältnis zu sich selbst und ihren
» Objekten entfalten.

Dieses kritische Verhältnis wird doch zumindest seit der selbstreflexiven Wende eingefordert.

» Was hierzulande propagiert wird ist das
» esoterisch-sinnfreie Aufgehen im großen Ganzen, die wahlweise
» Verschmelzung oder absolute Trennung von emisch und ethisch: Ontologie der
» Ethnologie.

Emisch und etisch meinst du wohl>
Wenn sowohl die Trennung als auch die Verschmelzung falsch ist, was ist dann richtig>
Kannst du ein Beispiel für die Ontologie der Ethnologie geben>

»
» Die Lehrsätze vom Kannibalismus als kolonialistischer Projektion sind
» altbackener als diese Projektionen selbst es je waren.

Wie meinst du das> Die Projektionen sind keine Projektion, sondern Kannibalismusberichte sind immer wahr>
Oder: es sind schon Projektionen, nur keine kolonialistischen>

» Sie beinhalten ein
» gutmenschliches Menschenbild, das kein Übel je kennen wollte.

So könntest du auch für die Richtigkeit der Theorie über den "jüdischen Kindsmord" plädieren.
Kannibalismus muss man schon irgendwie beweisen können.

» Das
» Menschenopfer ist keineswegs eine unübliche Erscheinung.

Kannibalismus und Menschenopfer sind ja nicht unbedingt dasselbe.
Kommt drauf an, wieweit man den Begriff des Menschenopfers fasst.
Also "human sacrifice" in der Art wie es die Azteken betrieben, wird man heutzutage nur noch in Einzelfällen finden.

» Behrend
» widerspricht dem ja recht genial, indem sie die Frage stellt, warum denn
» die einen des Kannibalismus beschuldigt wurden, die anderen aber nie>

Wem widerspricht sie>

Ja, genau. Warum hat man Kannibalismus immer nur "den Anderen", also den Juden und den "Wilden" zugeschrieben>

Ich zitiere mal was aus dem Buch "The Man eating Myth: Anthropology & Anthropophagy".

"These accusations [Juden würden Christenknaben opfern und iher Blut trinken] were so numerous, widespread and persistent that in this century a non-jewish German scholar (Strack 1909) who wrote on this phenomenon actually entitled one chapter of his book "Is the Use of Christian Blood required or allowed for any Rite whatever of the Jewish Religion>" This is followed by a sober assessment of Jewish dietary, including the prohibition on the use of animal blood, which the author contends would also hold valid for the vital fluid of Christians. Today, this question is banished from our consciousness, and beliefs such as these are interpreted as regrettable temporary lapses into prejudice. (...)
In contrast to this critical position, the idea Africans, Polynesians, New Guineans, American Indians are or were maneaters until contact with the benefits of European influence is assumed to be in the realm of demonstrated fact. To recapitulate the beliefs of this sort about representatives of our own cultural tradition are dismissed out of hand as racism and prejudice, while similar notions about others already defined as categorically different from us are treated as facts worthy of further scholarly consideration. Concretely, the widespread African belief that Europeans are cannibals or use human blood for evil intent is interpreted as an indication of African ignorence."


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