Anfrage bezüglich jüdischem Volk

Lars Dietrich @, Montag, 04.09.2006, 20:31 (vor 6447 Tagen)

Ich wollte nachfragen, ob jemand weiß, ob das jüdische Volk in der Ethnologie als eigene Ethnie definiert sind. Schließlich gibt es einige Menschen, die Juden nicht als Volk ansehen bzw. ihnen diese Identität quasi "nicht zugestehen wollen" aus verschiedensten Gründen.

MfG

Anfrage bezüglich jüdischem Volk

Mokky @, Berlin, Donnerstag, 23.11.2006, 10:08 (vor 6367 Tagen) @ Lars Dietrich

Als Ethnologe sage ich Dir, daß es "die Ethnologie" genauso wenig gibt wie "das jüdische Volk" oder (Himmel hilf!) das deutsche. Außerdem gibt es zwischen Ethnie und Identität einen fundamentalen Unterschied. Nämlich den, daß der Begriff Ethnie sich an Kriterien wie den Traditionen einer bestimmten Gruppe wie beispielsweise Bräuche, Kleidung, Musik, vor allem aber Sprache festmacht. Identität hingegen hat in erster Linie etwas mit dem Individuum und dessen ganz persönlicher Biographie zu tun. Das schließt bisweilen Ethnizität, also die empfunde Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe, mit ein.

Anfrage bezüglich jüdischem Volk

shinju @, Donnerstag, 07.12.2006, 00:13 (vor 6354 Tagen) @ Lars Dietrich

» Ich wollte nachfragen, ob jemand weiß, ob das jüdische Volk in der
» Ethnologie als eigene Ethnie definiert sind. Schließlich gibt es einige
» Menschen, die Juden nicht als Volk ansehen bzw. ihnen diese Identität
» quasi "nicht zugestehen wollen" aus verschiedensten Gründen.

Es ist schwierig, deine Frage zu beantworten, weil das ein komplexes Thema ist.
Zunächst ist das Judentum eine Religion und kein Volk (und schon gar keine "Rasse"!). Antisemiten hingegen behaupten oft, dass "die Juden" kein "richtiges Volk" sind, wohingegen sie schon davon ausgehen, dass "die Deutschen" ein Volk sind und dass es auch sonst ganz viele Völker gibt.

In der Zeit des Nationalsozialismus erschienen völkerkundliche Schriften über das Judentum wie "Rassenkunde des Jüdischen Volkes" (Hans Günther) oder "Das Judentum als landschaftskundlich-ethnologisches Problem" (Siegfried Passarge), die natürlich nichts anderes waren als NS-Antisemitismus in Reinform.

Die Völkerkunde nach 1945 sah ihren Forschungsgegenstand vor allem in den "außereuropäischen (Natur-)Völkern", was sich erst mit dem durch die Postmoderne beeinflussten Bruch in den achtziger Jahren änderte. Heute werden Völker als soziales Konstrukt betrachtet (meistens jedenfalls) und das Forschungsfeld hat sich enorm ausgeweitet.
Bis dahin beschäftigte man sich wohl nicht mit Juden oder dem Judentum, was heute sicherlich anders ist, da ich annehme, dass es Magisterarbeiten gibt, die sich mit Kibbuzim in Israel oder ähnlichem beschäftigen.

Eine "jüdische Volkskunde*" gabe es allerdings schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts:
http://www.uni-hamburg.de/Wiss/FB/09/VolkskuI/Texte/Vokus/2004-1u2/vokus2004-1u2_s121-1...


*Volkskunde und Ethnologie/Völkerkunde sind nicht dasselbe (falls du fachfremd bist und das nicht weißt).

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