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Neue Ethnologik: Kluge Worte zum Studium und zur "Anwendbarkeit" von Ethnologie

von lorenz am Nov 7, 2007 in Ethnologie allgemein, Studium Situation an den Unis, Ethnologie und Beruf, Jobsuche

(alle Links aktualisiert 4.6.2020) “Wenn ich es für ein Ethnologiestudium notwendig habe zu wissen, was ich hinterher damit anfangen kann, dann studiere ich schon falsch", sagt Ethnologe Wolfgang Habermeyer “Diejenigen, die sich Anfang 20 bereits vollkommen im klaren darüber sind, was sie wollen, würden sich mit Ethnologie nicht wohl fühlen", sagt sein Kollege Alexander Knorr (und Blogger).

Ethnologie in Aktionheisst eine neue Serie in der Zeitschrift Ethnologik. Die Serie geht Fragen nach wie: Gibt es ein Leben nach dem Ethnologiestudium? Wie sieht es aus - innerhalb und ausserhalb der Unimauern?

Die Serie beginnt mit spannenden Interviews, u.a. mit Wolfgang Habermeyer, der schon gleich zu Anfang vor zu hohen Erwartungen warnt:

Mit der Ethnologie kannst du nach dem Studium in der Regel im Sinne einer Erwerbsarbeit oder eines Berufs nicht viel anfangen. Es können sich zwar immer wieder irgendwelche Sachen ergeben, aber so richtig als Ethnologe, als Ethnologin arbeiten kann man nicht. Das Fach Ethnologie studiert man, weil es einen persönlich interessiert und weil man es aus anderen Gründen für wichtig hält.

Mann Man soll sich nicht von gleich am Anfang festlegen und lieber neugierig schauen was sich so im Laufe des Studiums ergibt.

Das Eigentliche an der Wissenschaft besteht darin, dass man dabei nach und nach Verbindungen herstellt, von denen man vorher gar nicht wusste, dass sie existieren. So etwas geht allerdings momentan mit der Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge verloren. Denn je stärker man sich auf bestimmte Studieninhalte fokussiert, weil man glaubt sie wären brauchbar, umso mehr verhindert man diese gelenkten „Zufälligkeiten“, die eigentlich das Wesentliche eines Studiums ausmachen.

Viele kluge Worte auch zum “Nutzen” unseres Faches:

Ich bin felsenfest überzeugt davon, dass die Ethnologie gesellschaftlich relevant ist, dass man die Ethnologie wirklich braucht. Ich würde aber die Frage, warum die Ethnologie wichtig ist und worin ihr gesellschaftlicher Nutzen besteht, völlig von dem entkoppeln wollen, was diese Gesellschaft an handfesten Resultaten von der Universität bzw. von Ethnologen erwartet.

(…)

Die Frage nach der Relevanz ist halt eigentlich erst der zweite Schritt. Diesen zweiten Schritt kann man jedoch nur dann in der rechten Weise machen, wenn man wirklich ernsthaft den ersten Schritt gemacht hat. Der erste Schritt ist die Frage an uns selbst: Was ist Ethnologie? Wie definieren wir selbst Ethnologie? Worum geht es da und worum geht es da nicht? Was können und wollen wir leisten als Ethnologen und was nicht? Warum ist das eine Wissenschaft und keine Frage z.B. der Weltanschauung usw. usf.?

Wenn man diesen ersten Schritt von vornherein unter dem Aspekt der Verwertbarkeit macht, dann belügt man sich selber, dann lässt man sich verbiegen und gibt nach — und betreibt meiner Ansicht nach keine Wissenschaft mehr.

Kultur- und Geisteswissenschaften in einer demokratischen Gesellschaft (vermutlich gilt das auch für Naturwissenschaften, aber ich will mir da ein Urteil nicht anmaßen) sind frei von unmittelbaren Verwertungsinteressen und in dem Moment, in dem man anfängt, Wissenschaft unter die Fuchtel von unmittelbaren Verwertungsinteressen zu stellen, wird Wissenschaft zu einem willfährigen Büttel der gerade herrschenden Meinung und läuft sich auf diese Weise vermutlich über kurz oder lang ohnehin tot.

>> zum Interview in der Ethnologik (Link aktualisiert)

Zur Zeit werden die Studenten gedraengt, ihr Studium moeglichst schnell durchzuziehen. 17 Semester brauchte Habermeyer, ich brauchte 20. Alexander Knorr schlaegt auch ein Schlag fuer etwas mehr Langsamkeit:

Lasst Euch nicht irre machen von dem Gerede, man bräuchte heutzutage einen „stromlinienförmigen Lebenslauf“. Am besten mit zwölf Abitur, mit 19 promoviert, mit 21 bereits sechs Jahre einschlägige Berufserfahrung und vier Jahre bei einer consulting Firma im Ausland verbracht haben.

Manche Dinge, nämlich diejenigen, welche wirklich etwas wert sind, brauchen ihre Zeit. Sich zurechtzufinden in der Welt, den eigenen Kurs suchen, braucht Zeit. Ein Studium braucht Zeit — Ethnologie sollte man zwar nicht all zu langsam, aber eben auch auf keinen Fall zu schnell studieren. Nach der geltenden Prüfungsordnung könnte man das ganze Ding in ein paar Semester per Gewalt über den Tisch reißen, aber dann hat man gar nichts, außer einem Abschluss. Auch auf die Gefahr hin, dass das jetzt esoterisch klingt: In die Ethnologie muss man hineinwachsen.

>> zum Interview mit Alexander Knorr (Link aktualisiert)

Von Thomas Hylland Eriksen gibt es dazu einen passenden Text: On the fundamental uselessness of universities (Link aktualisiert)

Zu diesen Themen gibt es auch mehrere Diskussionen im antropologi.info-Forum

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7 Kommentare

Kommentar von: anthronaut

anthronaut

“Mann soll sich nicht von gleich am Anfang festlegen und lieber neugierig schauen was sich so im Laufe des Studiums ergibt.”

;-)

07.11.07 @ 11:23

Kommentar von: cosmictrigger

cosmictrigger

(Kleine Änderung des Zitats von anthronaut)

“Mann soll sich nicht gleich von Anfang an festlegen und lieber neugierig schauen, was sich [im Laufe der Zeitschrift so darbietet].”

Ganz im Sinne des Neugierdeartikels der letzten Ausgabe, wo es heißt:"Je starrer die Raster sind, durch die wir unsere Welt betrachten, um so schneller gelangen wir zu unseren Urteilen – ob sie nun falsch sind oder nicht. Doch gleichermaßen wird auch der Raum, in dem sich unsere Neugierde breit machen kann, enger und unflexiebler.”

(Die restlichen Artikel dieses Blatts sind nun auch als Textversion online.)

08.11.07 @ 07:49

Kommentar von: anthronaut

anthronaut

Mir gings eigentlich eher um das “Mann". Mann, sieht das keiner? :-)

08.11.07 @ 14:02

Kommentar von: lorenz

admin

Haha ja hehe :)

08.11.07 @ 15:21

Kommentar von: pachulke

pachulke

Zur ‘Unbrauchbarkeit’ von Ethnologie: weiß jemand, wo das mal wissenschaftstheoretisch angegangen wird? Für eine weitergehende Beschäftigung mit dem Thema, würde ich gern über die Ethnologik-Interviews hinausgehen.

Das hier ist der Eriksentext im Orginal, für Dänischleser.

http://information.dk/88074

13.11.07 @ 21:57

Kommentar von: Nichtidentisches

Nichtidentisches

Und damit entfernt sich das Klientel ein weiteres Mal von der gesellschaftlichen Realität.
Eine Forderung ist noch nicht die praktisch gewordene Wahrheit. Es ist schön zu hören, dass die aufgezählten Autoren als praktische Konsequenz aus dieser Einstellung im Bewerbungsverfahren dem Langzeitstudenten den Vorzug geben würden.
Ich habe 12 Semester studiert, einen sehr guten Abschluss und bin dennoch arbeitslos mit wenig Perspektive, als kritischer Geist in den abgeschotteten, sektiererischen Wissenschaftsbetrieb jemals hineinzukommen.
Dort balgen sich nämlich Kinder reicher Eltern um Qualifikationen wie “schon 3 Jahre in Afrika und Südamerika ehrenamtlich mit Straßenkindern gearbeitet", “im Studium 12 Monate Feldforschung auf Haiti", “kostenlos in 18 Projekten in Bhutan und Nepal den Arsch aufgerissen". Das alles geht nur, wenn Eltern Studiengebühren und Auslandsaufenthalte finanziert haben.
Das Langzeitstudium und lange Feldforschungen mögen zwar eine hehre Forderung sein. Sie in dieser Form an Studierende heranzutragen ist weltfremd und fast zynisch.
Es sei darauf verwiesen, dass ein Bachelor nur für 6 Semester vorgesehen ist, danach folgt die Exmatrikulierung. Wer dann Master werden will, muss häufig zahlen oder sich einem rigiden Selektionsprozess unterwerfen.
In dieser Zeit muss man Studiengebühren zahlen und sich um Auslandsaufenthalte kümmern, ohne die man als Ethnologe M.A. einen Dreck zählt, Fachwissen hin oder her.
Insofern kann man in der Studienberatung nur sagen: Werdet Ingenieur und zahlt euren Kindern dann ein Ethnologiestudium alter Schule.
Oder organisiert euch gegen die Zumutungen, die euch um Wissen bescheißen. Leider ist das Ethnologiepersonal mit Studium in den 80ern zu selten ein Bündnispartner, häufig versteht man nicht im Geringsten die ökonomischen Sorgen der Studierenden.

06.07.08 @ 12:18

Kommentar von: lorenz

admin

Ja, gleichzeitig sollte man natuerlich die finanzielle Situation von Studierenden verbessern - und Studienplaene flexibel gestalten, damit man nebenher arbeiten gehen kann. Die Entwicklung scheint aber eher in die andere Richtung zu gehen

06.07.08 @ 21:57


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