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Widerlegen den Mythos vom "Zerfall der Grossfamilie"

von lorenz am Nov 9, 2008 in Wir und die Anderen, Deutschland, Oesterreich, Schweiz
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Dass sich die Familie als gesellschaftliche Institution in der Krise befindet oder gar vom Zerfall bedroht ist, wird zwar immer wieder behauptet, stimmt aber so nicht. Das zeigen drei neue Publikationen von Forschern an der Universität Wien, meldet der Informationsdienst der Österreichischen Katholischen Presseagentur KATHPRESS.

Einer der Publikation stammt von der Wiener Ethnologin Elisabeth Timm und ihrer Göttinger Kollegin Heidi Rosenbaum. In “Private Netzwerke im Wohlfahrtsstaat” schreiben sie dass die Großfamilie “nur für einen kurzen Moment in der Sozialgeschichte der Familie” existiert habe, die Kleinfamilie habe eine lange Tradition und sei keinesfalls eine “Erfindung der Moderne".

Der Blick auf den Zusammenhalt der Generationen werde differenzierter, “wenn man nicht auf die Haushalte blickt, sondern die Beziehungen zwischen den Haushalten betrachtet": Immerhin 70 Prozent der Kinder würden in räumlicher Nähe zu den Eltern wohnen, so Rosenbaum und Timm. Dies begünstige “intensive soziale Kontakte, aber auch Hilfe und Unterstützung".

Warum funktioniert das Modell des Zusammenlebens von zwei oder drei Generationen aber noch immer? Der Hauptgrund dafür liegt in der Sicherheit, die “Familie” den Beteiligten bietet, sagt Heidi Rosenbaum in einem Interview mit dem ORF:

Dass 15- oder 16-Jährige, von denen man eigentlich annehmen sollte, dass sie in schwerer Konfrontation mit ihren Eltern stehen und von etwas anderem träumen, sich dennoch nach Familie sehnen, hat etwas mit einer beständigen Konstante zu tun: Jenseits allen Ärgers und Zoffs, den man mit seinen Eltern hat, weiß man, das man angenommen ist.

Ich will nicht idealisieren, aber: Wenn Familie gut läuft, und das tut sie in der Mehrzahl aller Fälle, dann bekommt man Verlässlichkeit, Zuwendung, Solidarität, alles Dinge, die einem als heranwachsender Mensch Sicherheit geben. Und von so einer Basis aus kann man agieren und - pathetisch gesagt - den Herausforderungen des Lebens begegnen.

Ich betone: wenn es gut läuft. Es gibt bedauerlicherweise sehr viele Fälle, wo es nicht gut läuft. Wenn Jugendliche in solchen Fällen noch immer an die Familie als Wichtigste glauben, dann ist das ein Ideal, das sie vielleicht aus der Lektüre haben oder durch andere Vorbilder. Sie hoffen, es für sich selbst mit einer eigenen Familie realisieren zu können.

Diese Sicherheit kann natuerlich auch in Freundschaften gesucht werden, doch Verwandtschaftsbeziehungen seien stabiler:

Es gibt sicher Phasen im Leben, wo Freunde wichtiger sind. Das ändert sich oft in dem Moment, wo man selber Kinder hat, und die Kinder ihre Großeltern brauchen. Nicht unbedingt als Hilfe in allen Lebenslagen, sondern wo man selber merkt, dass man in einer Generationenabfolge steht - als mittlere Generation.

Wenn man vorher keine gute Beziehung hatte zu den eigenen Eltern, verbessert sie sich dann oft. Vielleicht auch weil einem dämmert, was sie alles für einen getan haben, um selber groß zu werden.

Es gibt sicher Einzelfälle, bei denen Freundschaften auch halten, aber gerade in prekären Situation sind Verwandtschaftsbeziehungen sehr leistungsfähig und stabil. Das hängt natürlich immer von einem selbst ab, wie viel man selber in die Beziehungen investiert hat. Der Verpflichtungsgrad in der Familie ist aber generell sehr hoch. Im Gegensatz zu Freundschaften kann man Verwandtschaften nicht aufkündigen. Verwandt ist man immer.

>> weiter zum Interview beim ORF

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