Kategorien: "Ethnologie allgemein"
Kritisiert ethnologische "Stammesforschung"
Ethnologe Markus Schleiter scheint eine interessante Dissertation geschrieben haben, die sich kritisch damit auseinandersetzt wie Ethnologen ihnen fremde Gesellschaften beschreiben.
In “Die Birhor- Ethnographie und die Folgen. Ein indischer ,Stamm’ im Spiegel kolonialer und postkolonialer Beschreibungen” geht es besonders um den Begriff “Stamm", erfahren wir in der Buchbesprechung von Melitta Waligora auf suedasien.info.
Der Begriff “Stamm” (oder “tribe"auf Englisch) ist umstritten, weil er oft negative Assotiationen weckt wie “Rückständigkeit". Die Begriffe “Stamm” und “Kaste” wurden in Indien im 18. und 19. Jahrhundert oft synonym verwendet.
Die ethnographische Konstruktion der „Stämme“ mit den jeweiligen Zuschreibungen wie primitiv, isoliert, rückständig, gefährdet erfolgte erst ab der Mitte des 19. Jh., gleichlaufend mit dem Begriff der „Kaste“.
Mit beiden Begriffen sollte fortan jeweils etwas anderes beschrieben werden, ohne dass es dafür eine hinreichende Grundlage gab. So konnte es passieren, dass ein und dieselbe Gemeinschaft in einem Gebiet als primitiver Stamm, in einem anderen als niedrige Kaste und wieder woanders als herrschende Schicht klassifiziert wurde.
Diese koloniale Einteilung, so der Ethnologe, wurde sehr bald von den nationalen Akteuren übernommen. Bis heute findet sie sich in der Entwicklungshilfeideologie “als Paternalismus gegenüber den subalternen, so ganz anders gearteten und hilfebedürftigen Stämmen wieder".
Melitta Waligora schreibt:
So kann der Autor in seinem Resümee nahezu zynisch formulieren, dass die Birhor und deren postulierte Gefährdung eine notwendige Existenzberechtigung für eine Armada von Entwicklungsadministratoren wie Forschern bieten, deren Interesse an einer realen Verbesserung auch der ökonomischen Situation der Birhor demzufolge nur gering ist.
>> weiter bei suedasien.info
Von Markus Schleiter gibt es kaum etwas im Netz. Auf journal-ethnologie.de hat er zumindest den Text “Zum Tanze". Eine ethnographische Erzählung über den indischen „Stamm“ der Birhor veröffentlicht
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Neuer Bachelor- und Masterstudiengang Kulturwissenschaft in Koblenz
Migration und Globalisierung, Ästhetik und Unternehmenskulturen sind Themen eines neuen Studiengangs “Kulturwissenschaft” an der Uni Koblenz-Landau, zu dem man sich noch bis zum 15. Juli anmelden kann, geht aus einer Pressemitteilung hervor, die mir Ethnologieprofessor Andreas Ackermann zugeschickt hat.
Während des Studiums würden Fähigkeiten für die berufliche Praxis in Bereichen entwickelt, in denen kulturelle Sensibilität und Kompetenz gefragt sind (Journalismus, Kulturmanagement, Unternehmenskommunikation, internationale Zusammenarbeit etc).
Das Besondere am Koblenzer Studiengang sei die Praxisorientierung: Studierenden können ihr Wissen und Können unmittelbar in Projekten und Praktika im In- und Ausland umsetzen.
Beteiligt an Lehre und Forschung sind die Wissenschaften Ethnologie, Medienwissenschaft, Philosophie, Anglistik, Germanistik, Romanistik, Geschichte, Soziologie, Evangelische und Katholische Theologie sowie Kunst- und Musikwissenschaft.
>> zur Pressemitteilung
In Ozeanien: Psychologen leisten Ethnologen Gesellschaft
Sie hat sich unter Leute gemischt, dessen Sprache sie nicht spricht, hat gemeinsam mit Fischern einen Hai gefangen und Schildkröte gegessen. Die Heidelberger Studentin Eva Oberle ist keine Ethnologin, sondern Psychologin.
Sie ist eine von vier Psychologinnen, die im Rahmen des Projekts „Person, Space and Memory in the Contemporary Pacific“ in Papua-Neuguinea, Tonga und Westsamoa forscht, meldet die ZEIT
“Psychologie braucht den Kulturvergleich zum Test ihrer Theorien aber wie Suppe das Salz", sagt Psychologieprofessor Joachim Funke. “Ethnologische Fragestellungen können die Psychologie ergänzen und bereichern", sagt sein Kollege, Ethnologe Jürg Wassmann.
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Deutschlandforschung: Wofür sich "ausländische" Ethnologen interessieren
Was ist deutsch? Hanno Kabel hat einen sehr schönen Text in der Ostseezeitung geschrieben- In einem Gespräch mit dem Ethnologen Thomas Hauschild zeigt er auf, wie nicht-deutsche Ethnologen Stereotypen über das “Deutschsein” herausfordern. Sie erzählen “die wahren Geschichten von Deutschland jenseits von Bier, Autos und Sauerkraut".
“Gibt es überhaupt etwas, was alle Deutschen miteinander verbindet; etwas, das sie zu einem Volk macht", ist seine (ironische) Ausgangsfrage und listet gängige Klischees wie Pünktlichkeit auf. Hauschild macht sein Vorhaben zunichte und sagt:
„Das, was Deutsche gern als “preußische Tugenden” hochhalten, sind ganz normale Tugenden einer hochorganisierten Industriegesellschaft. Egal, ob man im Computerbusiness oder in einer Reinigungsfirma arbeitet: Man muss überall sehr diszipliniert sein, um mitzuhalten.“
Es gibt viele ausländische Ethnologen, die deutsche Sitten und Gebräuche erforschen, erzählt Hauschild. Diese befassen sich jedoch mit ganz anderen Themen.
Eine englische Ethnologin interessiert sich für Kinderkrippen. Sie fand heraus, dass Mütter sich die sexistischen Rollenbilder zu eigen machten.
Indonesische Ethnologen untersuchten z.B. wie die Deutschen feilschen:
Ergebnis: Sie können es nicht. Nicht, weil sie steifer, korrekter oder unbegabter wären als andere – sondern schlicht deshalb, weil Rabatte seit 1933 verboten waren. „Deswegen schwärmen die Deutschen auch so für Flohmärkte oder Märkte in Italien“, sagt Hauschild. Erst 2001 wurde das Rabattgesetz abgeschafft.
Zurzeit interessierten sich die ausländischen Ethnologen laut Hauschild vor allem für die Schwächung der deutschen Institutionen: das schwindende Vertrauen in die Politiker und die Bundesbehörden, die Privatisierung öffentlicher Aufgaben.
Was ist deutsch? “Am Ende gibt es nur eine zuverlässige Antwort: das Grundgesetz und ein deutscher Pass", konkludiert Hanno Kabel, der auch über den neuen Einbürgerungstest schreibt.
>> zum Text in der Ostseezeitung
Die Zeit hatte vor neun Jahren einen Artikel mit dem Titel “Das wilde Germanistan. Wie ausländische Ethnologen versuchen, das deutsche Wesen zu ergründen”
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Informationstag in München: Ethnologie als Schlüsselkompetenz im 21. Jahrhundert
Vorträge zur Konfliktforschung, Organisationsethnologie und Entwicklungszusammenarbeit sowie eine Podiumsdiskussion mit Vertretern aus Politik, Kultur und Wissenschaft: Auf dem Informationstag “Lokale Welten – Globale Zukunft Ethnologie als Schlüsselkompetenz im 21. Jahrhundert” möchte das Institut für Ethnologie und Afrikanistik in München die Ethnologie und deren Relevanz der Öffentlichkeit vorstellen.
Die Veranstaltung ist gratis und offen für alle. Wie mir Muriel Heger mitteilt, haben sie bereits guten Kontakt mit den Medien. Neben Tageszeitungen und Lokalradio sind auch unsere Ethnomedien Ethnolog, Ethnologik, Die Maske und Cargo an Ort und Stelle und werden berichten.
Mehr Infos inkl Program gibt es auf http://www.ethnologie.lmu.de/lokalewelten
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Gute Aussichen für die Ethnologie und andere "Orchideen-Fächer"
Wer aussergewöhnliche Fächer studiert, muss nicht unbedingt schlechte Chancen am Arbeitsmarkt haben - der Weg zum Job erfordert allerdings Eigeninitiative, konkludiert der Standard in einem gute Laune verbreitenden Artikel über die Lage der “Orchideen-Fächer” an den Unis.
Obwohl Ethnologie ein beliebtes Fach ist, gehört es auch zu diesen weniger gewöhnlichen Fächern. Es gibt viele Gründe, Nischenfächer zu studieren, lesen wir:
Gut ausgebildetes Personal wird auch in Nischenmärkten benötigt, zudem kann die zukünftige Nachfrage an fachspezifischen Qualifikationen nie mit Bestimmtheit prognostiziert werden. Ein Studium, das vor 50 Jahren noch als “Orchideenfach” galt, kann sich durch veränderte Rahmenbedingungen – Stichwort Globalisierung – etablieren.
Mikko Kajander, Lektor der Fennistik (finnische Sprache und Kultur) an der Universität Wien, sagt:
“Gerade durch die Erweiterung der Europäischen Union werden die Sprachen der EU-Länder immer wichtiger. Lernt man eine Sprache, die nicht jeder spricht, bringt das gerade am Arbeitsmarkt große Vorteile.”
Konrad Köstlin, Institutsvorstand der Europäischen Ethnologie in Wien, stimmt zu:
“Konjunkturen sind nicht immer absehbar. Wir sehen heute, dass für bestimmte Bereiche der Nachwuchs fehlt, weil man ihn weggespart hat. Auch in einem Bereich wie unserem wird sich erkennen lassen, dass der Bedarf an Leuten, die bei uns studiert und Kenntnisse mitbekommen haben, eher noch steigen wird.”
Für “Orchideenfächer” ist es oft schwierig, einen direkten gesellschaftlichen Nutzen nachzuweisen. Köstlin meint jedoch, Fächer wie die Europäische Ethnologie sollten als eine Art Grundwissenschaft für das Verstehen von Kultur und Gesellschaft betrachtet werden.
Oft hört man, dass man mit praxisfernen Studien keine Chance hätte einen vernünftigen Job zu bekommen. Fanny Müller-Uri vom Bildungspolitischen Referat der ÖH Wien kontert:
“Warum muss Wissenschaft ökonomisch verwertbar sein? Wichtiger ist es zu lernen, die Gesellschaft großräumiger zu betrachten und kritisch zu denken, um so einen gesamtgesellschaftlichen Beitrag leisten zu können.”
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Was ist deutsch? Ethnologen geben Kurs
Den Professor mit Du anreden? Den Gesprächspartner beim ersten Treffen umarmen? Lieber nicht in Deutschland. Um Austauschstudenten vor peinlichen Momenten wie diesen zu bewahren, hat der Verein Ethnologie in Schule und Erwachsenenbildung (ESE) den Kurs „Was ist typisch deutsch?“ ins Leben gerufen, schreibt die Münstersche Zeitung.
Solche Kurse können leicht Unterschiede zwischen Ländern übertreiben. Dieser Gefahr ist sich der Verein offenbar bewusst. Eine Gebrauchsanweisung für den Durchschnitts-Deutschen gibt es indes nicht, sagt Kursleiterin Ursula Bertels.
>> weiter in der Münsterschen Zeitung
Die Webseite des Vereins gibt Auskunft über dessen Arbeit, allerdings sind mit einer Ausnahme die Publikationen nicht online zugänglich
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Rettungsaktion gestartet: Kulturanthropologie / Volkskunde an der Uni Bonn wird geschlossen?
(via Kulturwissenschaftliche Technikforschung) “Das Fach Kulturanthropologie / Volkskunde ist an der Universität Bonn akut bedroht", heisst es auf der neugestarteten Webseite Rettet die Volkskunde. Am 7. Mai 2008 wird der Rat der Philosophischen Fakultät entscheiden, ob die Bonner Volkskunde abgeschafft wird:
Pläne des Rektorats sehen die Einsparung von insgesamt 39(!) Stellen an der Philosophischen Fakultät vor. Die Institute sind somit durchschnittlich mit Einsparzwängen von vier Stellen konfrontiert. Um die problematische Haushaltslage zu „überwintern” hat der Vorstand des Instituts für Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft eine „Einfrierung” aller wissenschaftlichen Abteilungsstellen der Kulturanthropologie / Volkskunde beschlossen.
Was heißt das? Die „Einfrierung” sieht – vorausgesetzt die Finanzlage hat sich bis dahin gebessert – 2011 eine Wiederbesetzung des Lehrstuhls vor; was bis dahin geschieht ist ungewiss.
(…)
Damit nicht genug: Vertreter des Instituts lassen verlauten, dass eine Einstellung des Profils Kulturanthropologie / Volkskunde bereits zu diesem Wintersemester sowie ein MA-Start ohne das Profil Kulturanthropologie / Volkskunde erwogen werden.
Eine Rettungsaktion wurde gestartet, um gegen die de facto-Abschaffung der Kulturanthropologie/Volkskunde zu protestieren und sich an Entscheidungstraeger zu wenden:
- Machen Sie deutlich, dass unsere Gesellschaft neben den Modeerscheinungen so genannter Exzellenzcluster auf die Forschung und Lehre einer vielseitigen Philosophischen Fakultät nicht verzichten kann.
- Zeigen Sie auf, dass unsere Region einen Hochschulstandort Bonn benötigt, der nicht nur jüngsten Forschungstrends folgt und neuartige Labore einrichtet, sondern über traditionsreiche wie gesellschaftlich wichtige Geisteswissenschaften verfügt, deren Erhalt es gleichermaßen zu sichern gilt.
- Schreiben Sie Briefe und Mails, führen Sie Telefonate. Machen Sie auch Bekannte und Freunde auf die Situation aufmerksam, die programmatisch für die Veränderungen unserer deutschen Hochschullandschaft sind und die auch Sie beeinflussen können. Jede Stimme zählt!
>> mehr auf der Webseite “Rettet die Volkskunde”
AKTUALISIERUNG: Protest erfolgreich
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