antropologi.info - Ethnologie / Sozialanthropologie / Kulturanthropologie Blog

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Alkoholismus und Selbstmorde bei den Inuit: "Kolonisierung hat Schuld"

von lorenz am Sep 5, 2007 in Natur und Umwelt, Urbevölkerungen und Minderheiten, Wir und die Anderen, Arktis, Kultur Tradition, Arbeit(sleben), Inuit

Die WoZ interviewt Ethnologen Yvon Csonka, der ueber Zwangsumsiedlungen von Inuit in Kanada und Grönland forscht:

Angefangen hat das zur Zeit des Zweiten Weltkriegs. In Kanada zum Beispiel war bis 1945 gar nicht klar, ob Inuit überhaupt kanadische Staatsbürger sind. Erst als wegen des Kriegs im Norden Militärstationen gebaut wurden, realisierte man, dass es dort eine Bevölkerung gibt. Zur selben Zeit baute die Regierung ihr Wohlfahrtssystem aus. (…) Damit (die Kinder) zur Schule gehen konnten, sollten sie auch in der Nähe einer Schule leben. Also überzeugte man die Familien, dorthin zu ziehen, wo Schulen entstanden - namentlich in Orte, wo es bereits eine Polizeistation oder eine religiöse Mission gab. Einer der ersten Schritte war also, die Nomaden zu sesshaften Bürgern zu machen.

Eine andere Zwangsumsiedlung: In 1953 errichtete die US-Armee in der Nähe von Thule, im Nordwesten Grønlands einen Armeestützpunkt:

Ja, die dänische Regierung erteilte den Amerikanern grünes Licht für den Bau - ohne die Menschen, die dort lebten, nach ihrer Meinung zu fragen. Die mussten von einem Tag auf den andern umziehen. Man hatte ihnen Grosses versprochen: wunderbare neue Dörfer mit schönen Häusern und finanzielle Kompensation. Dort angekommen aber sahen sie, dass das leere Versprechen waren. Erst viel später wurde das Versäumte nachgeholt.

Derzeit forciert die Regierung auf Grönland den Umzug von in kleinen Siedlungen lebenden Menschen in grössere Dörfer und Städte. Ein riesiges Aluminiumwerk ist geplant. Dafür müssten dann Tausende von Arbeitern in Fabriknähe verlegt werden.

Bringen diese Verän­derungen auch etwas Positives mit sich? Für wen hat sich die Situation verbessert, für wen nicht? Dies versucht der Ethnologe herauszufinden.

Doch Grønland hat mit vielen Problemen zu kaempfen: Alkoholismus, Kindsmissbrauch und die vielen Selbstmorde. Der Ethnologe sagt:

Diese Probleme gibt es erst seit fünfzig Jahren. Sie entstanden zur gleichen Zeit, in der die sogenannte Modernisierung stattfand und in der die Bevölkerung in die Zentren geholt wurde. Es ist also klar, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen den Problemen und dem den Inuit auferlegten Zwang, ihr Leben zu ändern.

Im Westen glaubte man fest an die Modernisierung und dass sie für alle gut sei. Man fand, das Nomadentum sei keine praktische Lebensform, jeder solle von den Errungenschaften und Bequemlichkeiten der Moderne profitieren können. Und dann glaubte man, diese Leute seien zu blöd, um das zu verstehen und für sich selbst zu entscheiden. Deshalb hat man für sie entschieden, ohne sie zu fragen. So lief das damals nicht nur in der Arktis, sondern in den meisten kolonialisierten Ländern ab.

Der Klimawandel wird den Inuit erneut rasche Veränderungen aufzwingen.

Können sie sich den Veränderun­gen anpassen? Menschen sind anpassungsfaehig. Auch die Inuit könnten sich anpassen, wenn die Veränderungen nicht so schnell passieren würden, so der Ethnologe.

>> zum Interview in der WoZ

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Live-blogging auf Volkskunde-Kongress

von lorenz am Sep 2, 2007 in Webseiten, Wissensvermittlung, Ethnologie und Multimedia / Internet

(Via Kulturwissenschaftliche Technikforschung) Die Volkskundler machen es (mal wieder) den Ethnologen vor: Wie bereits gemeldet, sind sie im Vorfeld ihres Jahreskongresses in Mainz schon eifrig am Bloggen und Podcasten. Soeben wurde bekannt, dass sie auch live vom Kongress bloggen werden:

Die Volkskundler aus Hamburg haben es vorgeschlagen und wir werden es auch tun: Live Bloggen. Das heißt, dass wir während des Kongresses von 8.00 Uhr bis 20.00 Uhr in Doppelschichten im Computer-Pool ganz in der Nähe der Kongress-Hörsäle sitzen und aktuell Neuigkeiten eintippen, Erfahrungen, Fragen und Antworten weitergeben und Bildergalerien vom Kongress auf den neuesten Stand bringen. Vielleicht bloggen wir ja auch live aus einer der Veranstaltungen. Und wir freuen uns sehr, wenn Gäste und Referenten mitbloggen wollen!

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Conference Podcasting: Anthropologists thrilled to have their speeches recorded

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Bald kann man Ethnologie auch in Luzern studieren

von lorenz am Sep 2, 2007 in Studium Situation an den Unis

Mehr Ethnologie in der Schweiz: Ab 1. Februar 2008 kann man unser Fach auch in Luzern studieren, geht aus der Pressemeldung der Uni Luzern hervor. Mit dem Aufbau des neuen Studiengangs Kultur- und Sozialanthropologie/Ethnologie sind soeben die Professoren Bettina Beer (Uni Heidelberg) und Jürg Helbling (Uni Zürich) beauftragt worden.

Bettina Beer wurde 1966 in Frankfurt a. M. geboren. Sie promovierte 1995 mit einer Dissertation zum Thema «Deutsch-philippinische Ehen. Interethnische Heiraten und Migration von Frauen». Die Habilitationsschrift hiess «Körperkonzepte, interethnische Beziehungen und Rassismustheorien». Bettina Beer immer war immer wieder für Feldforschungen auf den Philippinen und in Papua-Neuguinea. Letzte Publikation: «Frauen in der deutschsprachigen Ethnologie. Ein Handbuch.» (2007)

Jürg Helbling wurde 1954 in Uznach geboren. 1984 promovierte er mit einer Dissertation zum Thema «Theorie der Wildbeutergesellschaft». 1990 habilitierte er nach einer zweijährigen Feldforschung auf den Philippinen mit «Macht, Verwandtschaft und Produktion: Die Alangan-Mangyan im Nordosten Mindoros». Feldforschungsprojekte führten ihn nach West-Papua und Papua-Neuguinea.

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Ethnologische Tourismusforschung: Das "andere andere" stört

von lorenz am Aug 27, 2007 in Migration Integration, Wir und die Anderen, Freizeit, Forscher / Theorien / Richtungen, Artikel und Papers, Zeitschriften

Der Tagesspiegel bespricht Arbeiten mehrerer Ethnologen zum Thema Tourismus. “Eine Erkenntnis der aktuellen Mobilitäts- und Reiseforschung: Das „andere andere“ stört", schreibt das Blatt: Selbst Menschen, die in Deutschland entschieden gegen jede rassistische Äußerung auftreten würden, reagieren negativ auf “Auslænder” in ihrem Ferienland, sagt die Frankfurter Kulturanthropologin Ramona Lenz, die sich auf Migranten auf Kreta spezialisiert hat. Wir lesen:

Menschen aus anderen Ländern, für die die Arbeit auf der Insel lebensnotwendig ist, stören den von den Reisenden gewünschten Eindruck des Ursprünglichen. In noch stärkerem Maße gelte dies für Schwarzafrikaner, die meist nur hinter den Kulissen der Tourismusindustrie zum Einsatz kommen.

Reiseführer preisen lieber das „Prachtexemplar des nicht domestizierten Kreters“ an, und Rucksacktouristen treten in eine teilweise erbitterte Konkurrenz darum, wer den Einheimischen am nächsten komme. Menschen, die in Deutschland entschieden gegen jede rassistische Äußerung auftreten würden, finden plötzlich nichts dabei, über „kriminelle Albaner“ und „bettelnde Zigeunerkinder“ zu schimpfen – im Gegenteil: Solche Äußerungen gehörten zum „Lokalkolorit“, dem man sich als perfekter Individualtourist oder Aussteiger anpasse, sagt Lenz.

Auf Ramona Lenz’ Webseite kann man eine Menge Working Papers zum Thema lesen!

Klaus Schriewer forscht ueber deutsche Migranten in Spanien:

Sogenannte Residenten, überwiegend Briten und Deutsche jenseits der 60, leben in Spanien häufig in abgeschlossenen Siedlungen ohne mehr als den notwendigen Kontakt zur einheimischen Bevölkerung. Schriewer, der an der Universität Murcia (Südost-Spanien) lehrt, untersucht im Rahmen des Projekts „Interkulturelle Kommunikation und europäisches Bewusstsein“, wie sich das Zusammenleben der Rentner untereinander und mit den Spaniern gestaltet.
(…)
Fast alle Befragten äußern sich positiv zu den Lebensbedingungen in der neuen Heimat. Man habe hier ein neues soziales Netz aufbauen, neue Freunde gewinnen können. Der Traum vom Alter im Süden endet für die meisten dann, wenn sie zum Pflegefall werden. Die ersten deutschen Pflegeheime an der Costa del Sol sind allerdings schon geplant. Der „Pauschaltourist auf Lebenszeit“ wird immer mehr zur Realität.

>> weiter im Tagesspiegel

Deutsche und Briten in Spanien sind auch Thema der Magisterarbeit der norwegischen Ethnologin Cecilie Skjerdal Pan pa’ hoy – hambre pa’ mañana. On processes of change in an agricultural village on Costa del Sol, die ich letztes Jahr gelesen hab. Sie schreibt, dass Spanier begonnen haben Deutsch zu lernen:

It is common knowledge in Torrox that tourists and foreign residents do not speak much Spanish, and in order to cater for the large group of German inhabitants, many Torroxeños learn some German, either in school, where the subject has been taught for the last twenty years as a second language, or by taking a course, or simply by learning the most useful phrases from colleagues at work.
(…)
When entering German owned businesses on the coast I was consistently welcomed in German, and upon asking whether they could please speak Spanish, the answer was usually that they do not know the language. Quite a few Spanish find it annoying and arrogant that foreigners refuse to speak Spanish – “They could at least show the courtesy of trying!”
(…)
Through my meetings with foreigners living in Torrox, their choice of exclusion was confirmed several times. As a local anthropologist puts it: these are not third world immigrants who stick together in a host society that considers them low class, these are voluntary immigrants who set themselves apart as culturally superior to their hosts – they exclude themselves through their ethnocentric prejudice (Medina Baena 2002:52, my translation).

>> zum Download der Arbeit

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“Deutsche Migranten schlecht erforscht”

In Darkest Leipzig - Ethnologiestudent erfolgreich mit Buch über Leipziger Clans und Stämme

von lorenz am Aug 26, 2007 in Kultur Tradition, Bücher, Deutschland, Oesterreich, Schweiz, Stadtforschung
in darkest leipzig - cover

Ethnologiestudent Michael Schweßinger (29) macht etwas, was allzu wenige Ethnologe tun - er forscht und schreibt über das Alltagsleben in seiner eigenen Stadt - und er hat Erfolg. Sein Buch In darkest Leipzig: Über die seltsamen Sitten und Gebräuche der Lindenauer ist ein Hit geworden, erfahren wir in einem Interview in der Leipziger Internet Zeitung.

“Manchmal setze ich mich einfach in die Absturzkneipen, höre den Menschen zu und schreibe über sie oder über das, was sie mir erzählen. Und die haben verdammt viel zu erzählen", sagt er:

Ich begann vor eineinhalb Jahren mit meiner ethnologischen Feldforschung. Dabei stieß ich auf die verschiedenen faszinierenden Lindenauer Volksgruppen, die weite Teile des Leipziger Westens besiedeln. In der Wissenschaft herrscht mittlerweile Einigkeit darüber, dass es bei den Lindenauern einen grundsätzlichen Unterschied zwischen sesshaften und nomadisch agierenden Clans gibt. So gesehen müssen wir differenzieren, wenn wir uns mit den Lindenauern beschäftigen.

Allgemein lässt sich jedoch sagen: Die Lindenauer siedeln seit nahezu 1000 Jahren an den fruchtbaren Elsterauen. Sie waren in früheren Zeiten für ihre Handwerkskunst und ihren kulturellen Reichtum bekannt. Heute teilen die Lindenauer das traurige Schicksal vieler indigener Völker, die vom Kapitalismus überrollt wurden. Hartz IV, zunehmender Alkoholismus, Perspektivlosigkeit

Wie wir sehen benutzt der Autor klassische ethnologische Begriffe - eine gute Idee! Generell, sagt er, hätte er fast nur positives Feedback auf Lesungen bekommen, doch einmal wurden “heftige Debatten” über ethnologische Terminologie” geführt und viele fühlten sich “mächtig auf dem Schlips getreten, wenn sie mit “den Primitiven” in einem Atemzug genannt werden".

Auf die Frage nach besonders emotionalen Erlebnissen während der Feldforschung antwortet er u.a.:

Eines dieser Dramen spielte sich im Supermarkt ab. Ein Vater der mit seiner Tochter händchenhaltend durch den Supermarkt geht, um sich eine Flasche Schnaps zu kaufen. Die Tochter sieht die Eistruhe und will ein Eis. Du siehst, dass er sie liebt und das er ihr gerne das Eis kaufen würde, aber dass sein Geld nicht für Alkohol und Eis reicht.

Diesen Moment zu beobachten, wie er den inneren Kampf zwischen Alk und Tochter austrägt und man weiß, dass der Alk gewinnen wird, da könnte man heulen. Dann die Menschen, die alleine in irgendwelchen Hauseingängen sitzen und mit leeren Augen vor sich hinstarren und trinken. Ich weiß nicht, da gehen so viele Dinge falsch.

Das Interview ist sehr inspierierend und Michael Schweßinger öffnet uns die Augen für den spannenden Alltag gleich um die Ecke - gerade auch aus Studentenperspektive. Er hat mehrere weitere Projekte am laufen, erzählt er:

Ich arbeite gerade an meinem neuen Buch “Von Seemännern und anderen Gestrandeten", welches Anfang Dezember erscheinen wird. Es geht darin wieder um den Leipziger Westen, allerdings beschäftigen ich mich dabei mehr mit den Menschen der Straßen und Kneipen und weniger mit den sesshaften Lindenauern. Irgendwie ist das Buch sehr viel nachdenklicher geworden als “In darkest Leipzig", aber vermutlich muss das so sein, wenn man sich die Realität vor Ort bewusst macht.

Dann gibt es natürlich noch jede Menge anderer Stories an denen ich gerade schreibe. In einigen berichte ich über meine skurrilen Erlebnisse als Tagelöhner. Als Student bekommt man ja die freakigsten Jobs angeboten. Reinigung im Atomkraftwerk, Baumfäller auf Friedhöfen, Sklavenarbeit auf Baustellen, Inventuren in staubigen Ramschläden. Das wird dann wieder sehr humorvoll.

>> weiter zum Interview in der Leipziger Internet Zeitung

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Das Wissen der Bauern: Ethnologen und Bodenforscher im selben Team

von lorenz am Aug 15, 2007 in Natur und Umwelt, interdiziplinär, Arbeit(sleben), Deutschland, Oesterreich, Schweiz • 3 Kommentare »

Bauern koennen das lokale Wetter durchaus besser vorhersagen als Meteorologen in der fernen Hauptstadt. Und ihr Wissen ueber die Beschaffenheit des Bodens ist “nach wie vor unersetzlich". Das Wissen von Landwirten ist Gegenstand einer interdisziplinaeren Arbeitsgruppe an der Wiener Universität für Bodenkultur, meldet der Standard.

Die Arbeitsgruppe “Wissenssysteme und Innovationen” fügt wissenschaftlich zusammen, was Fachbereichsgrenzen trennen: So gehören diesem Team neben anderen Forschern verschiedenster Disziplinen auch Hemma Burger-Scheidlin und Anja Christanell vom Institut für Sozial- und Kulturanthropologie der Universität Wien an, lesen wir:

Um herauszufinden, was Bauern über ihr Klima und ihren Boden wissen, verbrachten die beiden Forscherinnen jeweils 15 Monate im Großen Walsertal in Vorarlberg bzw. in der Weststeiermark, wo sie neben zahlreichen strukturierten Interviews auch viele informelle Gespräche mit Landwirten führten.

Wie sich dabei herausstellte, spielt das lokale Wetterwissen in Zeiten von Satellitenbildern nicht mehr die Rolle, die es früher hatte. Es wird allerdings - vor allem von den älteren Leuten - sehr wohl noch verwendet, um die Wettervorhersagen auf die eigenen kleinräumigen Verhältnisse abzustimmen: So brach ein 70-jähriger Bauer nach dem Interview mit Burger-Scheidlin trotz schwarzer Wolken ostentativ zu einem Spaziergang mit seinem Enkel auf - und tatsächlich blieb der angesagte Regen aus.

>> weiter im Standard

Gleichzeitig informierte Texas University in einer Pressemeldung Protecting Ecology Means Understanding People Too:

Talking to a biologist about one’s feelings could produce the same reaction as, say, telling a sociologist about molecules. Yet if the problems confronting conservation of the world’s biodiversity are to be tackled and fixed, then science and people must mix.

So say Dr. Lee Fitzgerald, a conservation biologist who has traveled through Latin America for 20 years studying reptiles, and Dr. Amanda Stronza, a cultural anthropologist who has for 15 years studied ecotourism and indigenous peoples in the Amazon.

Fitzgerald and Stronza now will lead 20 other professors at Texas A&M University on a $3 million National Science Foundation grant aimed at cutting down barriers between biological and social science in order to help conserve the world’s rich biodiversity.

“When we were developing this project, we realized that there are many biological scientists working in conservation who lack training and skills in how to deal with all the social science issues,” Fitzgerald said.

The same was true in Stronza’s field.

“I can tell you what people are saying and doing in their environment – ‘I hunt this often, or I fish this often, or we protected this forest,’” she said. “But I am not trained to go out in the world and see what effect those actions are having on the wildlife or the forest.”

>> zur Pressemeldung

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Ethnoklimatologie - ein neues Forschungsfeld

Mit indigenem Wissen ein Seebeben-Frühwarnsystem entwickeln?

Wissensintensiver Alltag in der Wüste

“Typisch Bauer!?” - Ethnologie-Studenten gehen der Idylle auf den Grund

Now online: Third issue of “Ecological and Environmental Anthropology”

“Aboriginal knowledge is science”

Der Tagesspiegel zum "Dilemma ethnologischer Museen"

von lorenz am Aug 15, 2007 in Ozeanien AUS / NZ, Ausstellungen Museen, Wissensvermittlung, Ausstellungen Museen

“Darf man die Kontexte weglassen oder herunterspielen, sollten auch Objekte außereuropäischer Kulturen als rein ästhetische Schaustücke ins Rampenlicht gerückt werden? Oder müssen die Entstehungszusammenhänge stets mitgeliefert werden?” In Berlin-Dahlem werden solche Fragen derzeit lebhaft diskutiert, meldet der Tagesspiegel.

Das dortige Ethnologische Museum bereitet seinen Umzug ins Humboldt-Forum, in das wiederzuerrichtende Schloss, vor und man erwartet “eine Neupräsentation der ethnologischen Sammlungen". Und wie das aussehen soll, darüber gehen die Meinungen auch im Haus offenbar noch auseinander. Die soeben eröffnete Sonderausstellung „Welt der Schatten – Kunst der Südsee“ kann man als Statement in der Museumsdebatte lesen, so der Tagesspiegel.

>> weiter im Tagesspiegel

>> Webseite der Ausstellung (inkl Kurzfilmen)

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Indigenous Art? Non-Western Art? Primitive Art? The Paris Museum Controversy

Kriminalisierung kritischer Forscher in Deutschland?

von lorenz am Aug 15, 2007 in Ethnologie allgemein, Deutschland, Oesterreich, Schweiz, Stadtforschung, Politik / Oekonomie

(via Kulturwissenschaftliche Technikforschung) “Wissenschaftlich arbeiten ist wieder gefährlich und wird, ehe man sich versieht, mit Freiheitsentzug bestraft", schreibt Harald Jähner in der heutigen Ausgabe der Berliner Zeitung. Der Berliner Soziologe Andrej Holm ist verhaftet worden, weil er verdächtigt wird, eine “terroristische Vereinigung” namens “Militante Gruppe” unterstützt zu haben, die in Berlin und Brandenburg zahlreiche Autos angezündet haben soll.

Viele Wissenschaftler sind alarmiert, weil sich die Indizien hauptsächlich auf seine wissenschaftliche Arbeit beziehen. In den wissenschaftlichen Texten des promovierten Soziologen fänden sich laut Bundesanwaltschaft “Schlagwörter und Phrasen", die in den Texten der “militanten Gruppe” gleichfalls verwendet würden, darunter der in der Stadtforschung gebräuchliche Begriff der “Gentrification“:

Andrej H. veröffentlichte zuletzt das Buch “Die Restrukturierung des Raumes - Machtverhältnisse in der Stadterneuerung im Ostberlin der 90er-Jahre.” Er arbeitet intensiv an einem europäischen Netzwerk von Stadtforschern namens “The urban experience". Die Wissenschaftler der Humboldt-Universität vermuten besorgt, dass ihn gerade diese Tätigkeit in den Augen der Bundesanwaltschaft verdächtig macht. Deren Ermittler argumentieren nämlich, Andrej H. stünden “als Mitarbeiter eines Forschungszentrums Bibliotheken zur Verfügung, die er unauffällig nutzen kann, um die zur Erstellung der militanten Gruppe erforderlichen Recherchen durchzuführen".

Verdächtig mache ihn auch seine Intelligenz. Er verfüge über die “intellektuellen und sachlichen Voraussetzungen, die für das Verfassen der vergleichsweise anspruchsvollen Texte der militanten Gruppe erforderlich sind". Vielleicht ist es wirklich sicherer, doof zu sein.

>> weiter in der Berliner Zeitung

In einem Interview mit Telepolis warnt Soziologe Rainer Rilling, vor den Konsequenzen falls nun die Anklagebehörde mit diesen Beschuldigungen Erfolg hat:

Dann würde jede Wissenschaft unter einem Anfangsverdacht stehen, militanten Aktivitäten zuzuarbeiten. Dann würden es sich Wissenschafter überlegen, ob sie bestimmte Begriffe wie beispielsweise Gentrifikation für eine Umstrukturierung eines Stadtteils noch weiter verwenden. Dieser Begriff, der den niederen englischen Adel bezeichnete und zur Kennzeichnung der Aufwertung von Stadtteilen in die internationale Wissenschaftssprache Einzug gefunden hat, würde dann unter Verdacht stehen.

>> weiter in Telepolis

Wie die taz schreibt gehoert zu den Verhafteten auch ein Politologe, der sich wie der Soziologe mit der Stadtentwicklung vor allem in Prenzlauer Berg auseinandersetzte. Anlass waren die geplante Umwandlung eines Hauses zum Hotel und die von der Bundesregierung geplanten Mieterhöhungen für Ostberlin. Aus diesen Aktivitäten gründete sich 1991 die Gruppe “Wir bleiben alle", der sowohl H. als auch der Politologe angehörten. Aufsehen erregte auch eine Studie, die der beschuldigte Politologe 1997 verfasst hatte. Darin kam er zum Ergebnis, dass aufgrund Gentrifizierung über die Hälfte der 140.000 Bewohner den Prenzlauer Berg verlassen hatten.

Nur einen knappen Monat vor seiner Verhaftung wurde Andrej Holm von der Bundeszentrale fuer politische Bildung interviewt zu Stadtentwicklungsprozessen im Globalisierungszeitalter.

Es gab bereits viele Solidaritaetsaktionen fuer die Festgenommenen. Mit Slogans wie “Ich bin Promotionsstudent und daher verdächtig” demonstrierten 100 Menschen vor der Justizvollzugsanstalt Moabit. Natuerlich gibt es eine Soli-Webseite und einen Soli-Blog mit mehr Infos zum Fall.

Diese Geschichte reiht sich ein in die gegenwaertige Politisierung der Wissenschaften und Einschraenkung von Meinungs- und Forschungsfreiheit. Die neueste Meldung stammt von heutigen “Inside Higher Education": Pessimistic Views on Academic Freedom: A greater percentage of social scientists today feel that their academic freedom has been threatened than was the case during the McCarthy era (via Savage Minds)

AKTUALISIERUNG (17.8.07): “Internationaler Wissenschaftler-Kreis sieht in Deutschland die Freiheit der Wissenschaft in Gefahr und fordert die “sofortige Einstellung des 129a-Verfahrens” und die “umgehende Freilassung der Inhaftierten". Nun ist der Protest international geworden, erfahren wir auf dem Blog Kulturwissenschaftliche Technikforschung

AKTUALISIERUNG (15.8.07): (via Kommentar von Orange): Noch mehr Aktionen gegen kritische Forscher, die auf Demonstationen gehen und sich für eine gerechtere Globalisierung einsetzen: Studierende unter Generalverdacht. Bundeskriminalamt beschlagnahmt Seminarlisten meldet die AStA der Uni Bremen:

Am 09.05.07 fand an der Universität Bremen im Rahmen einer bundesweiten Aktion der Bundesanwaltschaft eine Hausdurchsuchung statt. Diese richtete sich gegen den Lehrbeauftragten Dr. Fritz Storim, welchem nach $129a die “Bildung einer terroristischen Vereinigung zur Verhinderung des G8-Gipfels” vorgeworfen wird. Die Bundesanwaltschaft kommentierte Ihr Handeln mit den Worten: “Die heutigen Untersuchungen sollten Aufschluss bringen über die Strukturen und die personelle Zusammensetzung von diesen Gruppierungen, und dienten nicht in erster Linie zur Verhinderung von konkreten Anschlägen. Dafür gab es keine Anhaltspunkte".

Bei der zeitgleichen Durchsuchung von Privaträumen Dr. Fritz Storims stellte das Bundeskriminalamt (BKA) unter anderem sämtliche TeilnehmerInnenlisten sowie Arbeitsmaterialien der von ihm in den letzten Jahren an der Universität Bremen angebotenen Seminare sicher. Damit sind auch Kommilitoninnen und Kommilitonen der Uni Bremen ins Fadenkreuz der Ermittlungen geraten. Ihre Daten liegen den deutschen Strafverfolgungsbehörden nun in Verbindung mit dem Vorwurf des Terrorismus vor. Es muss davon ausgegangen werden, dass alle SeminarteilnehmerInnen Dr. Fritz Storims von der Polizei und dem Staatsschutz überprüft und die gewonnenen Erkenntnisse sowie die Verbindung zu einem potenziellen Terroristen (ihrem Dozenten) in den entsprechenden Datenbanken gespeichert werden.

Siehe auch:

Bush, “war of terror” and the erosion of free academic speech: Challenges for anthropology

Blogging and Public Anthropology: When free speech costs a career

Fired from Yale, anarchist professor points to politics

USA: Censorship threatens fieldwork - A call for resistance

The dangerous militarisation of anthropology

Protests against British research council: “Recruits anthropologists for spying on muslims”

San Jose: American Anthropologists Stand Up Against Torture and the Occupation of Iraq

Zur gleichen Zeit bekommt Ethnologe Erwin Orywal nun Morddrohungen wegen Dialogs mit Muslimen

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